Oh Borussia! Wo geht es mit dir in dieser Saison hin? Es wird immer klarer, dass das erste Farke-Jahr nicht nur ein frischer Neubeginn mit einer angenehm anderen Fußball-Philosophie ist.
Es ist auch ein Übergangsjahr, das Hochs, aber auch immer wieder bittere Tiefs bereithält. Und bei dem man sich niemals sicher sein kann, was als nächstes kommt: der Griff nach den Sternen oder ins Klo. Heute gab es letzteren, und das hatte damit zu tun, dass man erst ein bisschen zu sorglos, und später etwas zu ratlos agierte. Das spiegelte sich im Ergebnis von 1:3 dann auch ziemlich exakt wieder.
Manchmal Fisch, manchmal Fleisch, manchmal Lauch - und manchmal irgendwas dazwischen. Borussia ist eine Diva geworden. Und insofern kam auch der bemerkenswerte vorbeugende Auftritt von Daniel Farke und Roland Virkus bei der Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel nicht so ganz aus dem Nichts. Dort wurde wortreich darauf hingewiesen, dass man von außerhalb die bisherige Saisonleistung doch wohl ein bisschen zu negativ einschätze, obwohl doch das erste Heimspiel gewonnen wurde, die Bayern beim 1:1 geärgert sowie das Derby und das Spiel gegen Leipzig zu den Sternstunden dieser Saison zu zählen wären.
Das stimmt alles. Aber die andere Seite der Medaille - die Spiele oder Spielphasen, die an die klaren Pleiten der Rose-/Hütterzeit erinnerten, waren eben auch schon dabei. Die wurden von Farke am Freitag blumig kleiner geredet und die Stärken größer, als sie vielleicht derzeit sind.
Das hat psychologisch möglicherweise auch seinen Sinn, damit die Mannschaft nicht selbst zu früh ins Grübeln kommt. Aber es ist auch gefährlich, wenn man es zu sehr für bare Münze nimmt.
Denn in einer Saison, in der offenbar jeder jeden - auch mal hoch - schlagen kann und viele Mannschaften in der Tabelle eng beineinander liegen, da kann das auch ganz schnell in eine ungute Richtung kippen.
Ich glaube, in dieser Unsicherheit - Angst will ich es nicht nennen -, beobachten viele Fans, darunter auch ich, von außen die schlecht vorhersehbaren Formausschläge der Mannschaft. Mehr ist es (noch) nicht. Die Borussen-Familie steht hinter dem, wofür Virkus und Farke stehen und was sie immer wieder betonen.
Die Fans verzeihen auch Fehler. Aber sie haben auch im Blick, dass das Abschneiden in der Liga nicht nur Ziel an sich darstellt, sondern vielleicht auch entscheidenden Anteil daran haben wird, ob und wieviele der Leistungsträger mit auslaufendem Vertrag auch mit Borussia in die darauf folgende Saison gehen wollen und werden. Dafür braucht es viele Punkte und am besten ein europäisches Ticket für ein paar Mehreinnahmen und als attraktivitätssteigerndes Mittel.
Und davon hängt wiederum noch mehr ab, nämlich ob Borussia in den kommenden Jahren den erreichten Stand halten können wird oder ob jedes Jahr wieder aufs Neue ein Existenzkampf in der Liga das wahrscheinlichste Szenario sein wird.
Jeder von uns weiß, welche Qualität die Spieler haben und dass sie sie dieser Tage nicht immer so ausschöpfen wie erhofft. Mal ist es Bensebaini, der neben sich steht, heute war es Marvin Friedrich, der gefühlt bei jeder gefährlichen Szene der Frankfurter schlecht aussah. Manu Koné kämpft mit der richtigen Balance im Spiel zwischen sicherem Ball und der risikobehafteten genialen Aktion, mit der er sich durch drei Gegner mogeln könnte. Joe Scally könnte eine Pause guttun. Und auch der treffsicherste im Team, Marcus Thuram, neigt dazu, eher mal die leichteren Chancen liegenzulassen und die komplizierteren zu verwerten.
Dazu kommt die Verletzungsproblematik, die sich durch Vorbereitung und Saison zieht. Heute waren die Optionen von der Bank besonders übersichtlich, weil Neuhaus, Hofmann, Itakura, Sommer, Lainer, Wolf passen mussten und so auch keiner der anderen Stammspieler mal eine echte Konkurrenz zu fürchten hatte.
Gut, dass Chris Kramer wieder mit dabei war und durchgehalten hat. Dennoch stand da natürlich immer noch eine konkurrenzfähige Elf auf dem Platz, von der man mehr erwarten konnte, als dass sie nach 45 Minuten das Spiel im Prinzip schon verloren hatte - und die auch nach Wiederanpfiff ganze 12 Minuten brauchte, bis Frankfurts Torwart Trapp den ersten leichten Ballkontakt der zweiten Hälfte hatte, weil Pleas Pass auf Thuram viel zu lang geriet.
Was
also passiert da manchmal? Was läuft schief?
Was unter Farke schon gut funktioniert,
wurde auch an dieser Stelle schon ausgiebig gelobt. Der VfL kann
hervorragend nach vorn kombinieren und sich über lange Bälle oder gute
Standards auch mal aus der Verlegenheit helfen, wenn es gegen einen
defensiv gut sortierten Gegner anders schwer fällt.
Die Qualität der Mannschaft ist unübersehbar, ebenso die gewachsene Widerstandsfähigkeit bei Rückständen oder unter Druck. Auch
heute blieb sich das Team im geduldigen und oft auch zielgerichteten
Spiel nach vorn treu, auch nach dem 0:3.
Was der Unterschied zu manch
gewonnener Partie war, liegt auf der Hand: Weniger Effektivität vor dem
Tor, unsauberes Passspiel mit Ballverlusten, individuelle Fehler wie bei
den Gegentoren - und eine gewisse Ratlosigkeit, wenn der Gegner den
Plan ganz gut durchkreuzt.
So war Tikus heute weitgehend abgemeldet, der
lange Schlag auf ihn war längst nicht so eine Drohung wie sonst - weil
die Eintracht es verstand, ihn meist gut abzusichern. Auch das
Pass-Spiel unterband der Gegner mit einer guten Raumaufteilung, viel
Laufleistung - und jeder Menge Fouls.
So viele Fouls zogen die Spieler des VfL längst nicht - zur Halbzeit führte der Gast da mit sage und schreibe 13:4 und am Ende mit 20:9. Einerseits ist das natürlich gut. Andererseits zeigt es auch manchmal, dass man nicht gut genug in die Zweikämpfe kommt. Taktische Fouls wären etwa nach den Ballverlusten vor dem ersten und dritten Tor wichtig gewesen. Doch sie gelangen nicht oder wurden nicht gezogen. Auch deshalb war Borussia heute hinten so verwundbar.
Frankfurt konnte dadurch zeigen, wie
man mit Ballgewinn und mit nur zwei
oder drei schnellen Angreifern die aufgerückte Gladbacher Defensive klassisch
auseinanderschrauben kann. Und die Verteidiger von Borussia bekamen keinen Zugriff.
Es war fast ein Lehrstück, wie dies Kolo Muani und
Lindström beim ersten (mit freundlicher Unterstützung von Koné und Friedrich) und beim dritten Tor umsetzten, und auch das eine oder
andere Mal darüber hinaus.
Beiden Toren gingen relativ optimistisch
gespielte Fehlpässe von erfahrenen Spielern (Stindl und Weigl) voraus,
und anstatt gegen den konterstarken Gegner mit seinen sehr schnellen
Stürmern sofort abzusinken, um nicht zu viele Räume in der Abwehr und
zwischen Kette und Torwart freizugeben, ging jeweils der erste Schritt
nach vorne, um den Ball möglichst schnell wieder zurückzuerobern.
Das ist immer ein gewagtes Spiel - und wenn nicht alles passt, wie die Position der Mitspieler, die Entfernung zum Ballführenden und auch die Möglichkeit, einen Gegner zur Not mit einem Foul zu stoppen, dann kann das so ins Auge gehen wie heute.
Dass dazwischen auch noch das zweite Tor nach einer ganz schlecht verteidigten Ecke stand, passte zu einer ersten Halbzeit, in der Frankfurt in allen wichtigen Belangen überlegen war, es dennoch aber eigentlich mindestens 2:3 statt 0:3 hätte stehen müssen. Denn Borussia hatte eigene Top-Chancen, etwa durch Thuram, der allein vor dem Tor Trapp anschoss, anstatt ihn vielleicht besser mit einer Körpertäuschung zu umspielen. Gleiches galt für Lars Stindl, der von Kramer schön freigespielt wurde, aber zu überhastet und zentral abschloss, sodass auch da Trapp mühelos abwehren konnte.Borussia mühte sich trotz des ernüchternden Spielstands sichtlich weiter, aber von einem spielerischen Feuerwerk, das die Gäste vielleicht hätte beunruhigen können, war das auch in der zweiten Halbzeit weit entfernt. Das Anschlusstor fiel eher unvermittelt, davor war eher der vierte Eintracht-Treffer erwartbar. Und das kleine Hoch nach dem 1:3, bei dem auch das Stadion stimmungsmäßig nochmal hochfuhr, wurde durch den Kabelsalat bei der Spidercam und der folgenden Spielunterbrechung wieder im Keim erstickt.
Es war einfach so: Eintracht Frankfurt hatte heute das Spiel die meiste Zeit im Griff und fast immer die bessere Lösung. Der Sieg war hochverdient. Und in Gladbach muss man schnell Lösungen finden, um solche Gegner effektiver bespielen zu können. Der Blick auf die Verletztenlist hilft da wenig. Reißen müssen es jetzt die anderen. Hilft ja nix.
Nach zuletzt zwei in den entscheidenden Szenen patzenden Schiedsrichtern hintereinander konnte mich auch Daniel Siebert nicht wirklich überzeugen. Er hatte zwar keinen ganz groben Bock in seiner Spielleitung. Aber es waren die kleinen Dinge, die nicht passten. Wie gesagt: 13:4 und 20:9 lautete die Foulbilanz pro Frankfurt. Gladbach bekam dennoch drei Verwarnungen, die Eintracht nur zwei. Das spielt insofern eine Rolle, dass Koné und Weigl für ihr jeweils erstes Foul recht früh die Gelbe Karte sahen - wobei die von Koné von der Intensität ok war, die von Weigl nur zwei Minuten später gerade noch akzeptabel. Legt man dann noch den unabsichtlichen Tritt auf den Gegner-Fuß von Chris Kramer als Maßstab an - eine zweifelhafte Verwarnung -, dann stellt man fest, dass Siebert auf der anderen Seite doch sehr viel großzügiger unterwegs war.
Hätte er diese Linie beiderseits durchgehalten, wären Kamada und Jakic mit hoher Wahrscheinlichkeit noch in Halbzeit eins duschen gegangen. Deutlich genauer nahm es Siebert wie so oft mit Formalien. Er unterband jeden Versuch, Freistöße schnell auszuführen, was bei dem Spielstand naturgemäß Frankfurt entgegen kam und Gladbach gar nicht recht war. Auch Einwerfende zwei Meter zurückzubeordern, ist sein Ding. Die vor der Saison als total wichtig ausgegebene Devise, konsequent Verwarnungen für Freistoßblockade-Aktionen oder den Ball wegtragen zu vergeben, hatte auch Siebert offenbar wieder längst aus dem Schiri-Commitment gestrichen. Aber was soll's - es passt ins Bild der letzten Wochen, war aber heute nicht der Grund für die Niederlage.
Den wirklichen Gründen dafür abzuhelfen, wird in dieser Trainingswoche Ziel sein müssen. Denn am kommenden Sonntag wartet Union Berlin. Und von denen ist ähnliches zu erwarten wie vom heutigen Gegner. Was meine Anspannung ob des weiteren Saisonverlaufs nicht wirklich lösen hilft.
Saison
2022/23, Bundesliga, 11. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - Eintracht Frankfurt 1:3. Tor für Borussia: 1:3 Thuram.
Ein weiteres Thuram-Tor - nun steht die Summe bei 62 Euro.
Das gilt in der Saison 22/23: Für jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal zahle ich 1 Euro. Für jedes Tor von Tony Jantschke oder Christoph Kramer: 10 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 10 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg: 10 Euro. Einstelliger Tabellenplatz am Saisonende: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 122 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.
Danke mal wieder für deine Analyse! Leider zeigt sich inzwischen, dass unsere schlechten Spiele keine Einzelfälle mehr sind und wir unsere Verletzten kaum noch kompensieren können. Und Farke kann leider doch nicht übers Wasser gehen :). Jetzt gilt es Nerven behalten, die leichten Fehler im Spiel abstellen, am besten nicht allzu zu sehr in der Tabelle abreißen zu lassen um dann vielleicht nach der WM-Pause nochmal richtig anzugreifen. Aber auf eine schwierige Saison müssen wir uns spätestens jetzt auf jeden Fall einstellen.
AntwortenLöschenEs wird selbstverständlich eine schwierige Saison. Es spielt dieselbe seelenlose Truppe, wie unter Hütter. Und die spielte zwischenzeitlich gegen den Abstieg. Der „Umschwung auf allen Ebenen“ heißt Farke. Zuviel für diesen sympathischen Trainer. Und wenn man ihm etwas genauer anschaut und zuhört, dann ist da schon eine deutlich wahrnehmbare Änderung zur positiven Erstdarstellung zu erkennen. Natürlich darf man das riesige Verletzungspech nicht vergessen. Aber auch gestern stand eine richtig ordentliche Elf auf dem Platz.
AntwortenLöschenSei nicht so streng. Ich glaube wir sind alle enttäuscht, aber für den Vorwurf der mangelnden Einstellung ist es noch zu früh. Bei eisern Union etwas mitzunehmen wird schwer, aber gegen den VFB und Bochum sollten wieder Punkte drin sein.
LöschenEs gibt weder Anlass zur Panik noch zu irgendeinem überzogenem Zweck-Optimismus.
AntwortenLöschenJa, auch in bin (wieder mal!!) enttäuscht.....
Aber machen wir uns doch nichts vor....die Saison wird in jedem Fall sehr "anspruchsvoll", in der das Pendel sowohl nach oben als auch nach unten ausschlagen kann.
Im Grunde stehen wir doch jetzt genau da, wo uns scheinbar auch
die sportliche Leitung nach deren Statements einordnet.
Fakt ist doch:
Die sportliche Talfahrt der letzten zwei Jahre, als auch die strategischen Fehler des damaligen verantwortlichen Managements, haben uns in der Gesamtentwicklung augenscheinlich weiter zurückgeworfen, als das es viele wahrhaben wollen...(und kommt mir jetzt nicht mit Corona, diesem Umstand mussten sich schließlich alle Vereine stellen!)
Diese Erkenntnis ist bitter und tut vor dem Hintergrund einer wirklich vorbildlichen Aufbauarbeit, in den vorherigen 10 Jahren, verdammt weh!!
Aber auch das ist Teil der Wahrheit.....
Wirklich unzufrieden kann man bisher nicht, aber wirklich zufrieden auch nicht. Ich finde es OK wenn man versucht die positiven Dinge aus allem bisher geschehen hervorzuheben. Aber Mann darf sich auch nicht selber blenden und alles zu gut darstellen. Man muss meiner Meinung nach auch über das negative reden und Mal Kritik ranlassen. Intern wird das sicherlich auch umgesetzt, hoffe ich zumindest.
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