2015-09-22

Mann über Bord

Lucien Favres Amtszeit endet in einem Rätsel. Ich habe einen ganzen Tag gebraucht, um mich zumindest ansatzweise von der Rücktrittsnachricht zu erholen. Glauben und verstehen kann ich es immer noch nicht. Der Trainer, der uns aus dem ewigen Abstiegssumpf gezogen hat, springt über Bord und stößt die von überall zugeworfenen Rettungsringe zur Seite, statt zuzugreifen. Aber ich, und wir alle, müssen das akzeptieren und dürfen uns die Erinnerung an die tolle Zeit mit ihm nicht durch Bitterkeit über diesen Abgang vergiften lassen.

Also muss es zuallererst heißen: Danke Lucien, für die unvergleichlichen Jahre, die du uns mit deiner Fußballphilosophie erfreut und einem gebeutelten Verein und seinen Fans den Stolz und den Glauben an die eigene Stärke zurückgegeben hast!

Ja, der Paukenschlag zum Schluss - auch das ist Lucien Favre. Ein Mensch, dem der Jubel über die eigene Person merklich Unbehagen bereitet. Der an sich zweifelt, wenn es nicht läuft. Der ohne Rücksicht auf Verluste konsequent sein kann. Das hat er am Sonntag bewiesen, als er allen Treueschwüren und Umarmungen zum Trotz für sich die Reißleine zog und dabei offenbar keinen Blick mehr für sein Umfeld hatte. Vielleicht gibt es aber auch noch andere Gründe dafür, die ihn zu diesem Schritt getrieben haben - vielleicht war die Borussia-Welt ja intern nicht so heil, wie sie nach außen schien. Bisher haben wir dazu ja nur die Sicht des Vereins gehört. Ich weiß es nicht, ich kann nichts ausschließen und deshalb werde ich Lucien Favre für seinen seltsamen Rückzug auch nicht verurteilen. Ich bin nur traurig und ernüchtert.

Dass es Rückschläge geben würde und nicht immer so steil nach oben weitergehen würde, wie es die eindimensionalen Berichte mancher Sportreporter vorgaukeln, war jedem vernünftigen Fan klar. Ein Apfelbaum, der sich in einem Jahr unter der Last der Früchte biegt, muss manchmal schon im nächsten Erntejahr eine Erholungspause einlegen und hat dann nur ein paar mickrige Äpfelchen zu bieten. Genauso kann es in der Bundesliga jedem Verein ergehen, es sei denn, er heißt Bayern München. Also ist es auch für Gladbach keine Schande, wenn diese Saison neben der süßen Champions-League-Teilnahme vor allem Magerkost bieten würde. Da haben wir doch schon weit Schlimmeres erlebt, das kann einen Borussen nicht umwerfen. Dass wir das so sehen, das hat Lucien Favre in den viereinhalb Jahren mit uns aber nicht ausreichend verstanden oder nicht ernst genug genommen.

Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack, ein Kater nach einer rauschenden Feier. Dass er grußlos in die Nacht verschwindet und von uns nicht mal anständig verabschiedet werden kann, hat sich Lucien Favre selbst eingebrockt. Aber er hat es nicht verdient, genausowenig wie der Verein und wir Fans. Nun ist es aber eben so. Es hat keinen Sinn, sich an Vergangenes zu klammern. Und die Zukunft hat bereits begonnen. Der souveräne Auftritt von Max Eberl heute in der Pressekonferenz zeigt mir, dass Borussia eine neue Lösung finden wird, die der schwierigen Situation gerecht wird. Halten wir Kurs! Damit Lucien Favres Opfer am Ende nicht umsonst gewesen ist.

3 Kommentare:

  1. Bewundernswert, zu wieviel Sachlichkeit du so kurz nach diesem Schockerlebnis schon fähig bist. Allein am Ende wird´s mir zu pathetisch. Ansonsten 100% agree :-)

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  2. Er kam als Tabellenletzter und ging als Tabellenletzter. Der Kreis schließt sich. Dazwischen war das Fußball-Paradies. Aber die fetten Jahre sind vorbei. Borussia muss froh sein wenn sie am Saisonende besser als Platz 15 abschneiden.

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  3. @Wupper-Rolf: Danke! @Anonym: Das ist mir zu schwarz gemalt. Es wird sicher ein schweres Jahr, aber wer weiß, was in einem halben Jahr ist. Solange wir realistisch bleiben, ist alles ok. Jetzt gilt erstmal, ganz unten rauszukommen. Da war das heute doch ein guter Anfang.:-)

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