2019-11-23

Vom Eisen aufgerieben

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass man es sich in dieser Liga nicht leisten kann, im Spiel weniger als 100 Prozent der Leistungsfähigkeit auf den Rasen zu bringen - und schon gar nicht gegen einen robusten Gegner wie diesen -, dann wäre er heute erbracht worden. Union Berlin zeigte sich von seiner eisernen Seite und ließ die Borussia kalt abblitzen. Der Sieg des Underdogs war am Ende zweifellos verdient, wenn auch keineswegs unabwendbar. Mehr Glück und besseres Werkzeug hätten die harte Nuss knacken lassen können.

Nun schmilzt der Vorsprung auf Verfolger wie Bayern München zwar (sorry, das musste sein, nach dieser rekordverdächtig häufigen Erwähnung des Wortes "Tabellenführer" durch den Sky-Kommentator, der aber sonst leider so vieles an dem Spiel nicht verstand). Aber das ist egal. Wichtiger ist, dass der VfL ganz schnell aus diesem Samstagnachmittag mitnimmt, woran es lag und wie es besser geht. Denn am Donnerstag ist bei den Wolfsbergern in der Euro League mutmaßlich genau das gleiche Spiel zu erwarten - wie auch am kommenden Wochenende, wenn es gegen die in Zweikämpfen ebenso unangenehmen Freiburger geht.

Denn das - die Zweikampfführung - war heute ganz offensichtlich der Knackpunkt im Spiel. Marco Rose hatte gewarnt - vor dem großen, wuchtigen Kader, den die Unioner sich da zusammengeholt haben, vor der Spielweise, die der von elf Stefan Lainers gleicht. Und vor den klar vorgetragenen, schnörkelosen Angriffen, die oft auf langen Bällen und kopfball- und behauptungsstarken Offensivspielern basieren.

Das alles hatte Gladbach in dieser Saison (bis auf die durchgängige Körpergröße) ja auch schon zu bieten. Und die Rose-Elf ist damit auch bislang gut gefahren, hat einige Gegner in ähnlicher Weise zermürbt und auf die Verliererstraße geschickt. Doch heute war der Gegner sichtlich nicht bereit, zurückzustecken. 

Und er hatte einige wichtige Vorteile auf seiner Seite. Zum Beispiel das nötige Glück, das zuletzt im Zweifel ja eher zur Gladbacher Seite neigte. Die Pfostentreffer kann man sicher gegeneinander aufrechnen. Aber dass das Spiel für die Fohlen einfacher geworden wäre, wenn Herrmanns Kopfball ins und nicht ans Tor geklatscht wäre, ist keine allzu verwegene Vermutung. 
Insgesamt waren die wenigen Großchancen sehr ausgewogen verteilt, sodass das 2:0 zumindest aus dieser Sicht nicht zwingend war. Doch dass bei den blaugewandeten Gästen heute immer ein kleines Tickchen gefehlt hat, ob bei Pleas toller Chance gegen Torwart Gikiewicz oder in den vielen engen Zweikämpfen, das war sicher der ausschlaggebende Punkt für die dritte Niederlage in der Liga.

Union hat die wenigen klaren Fehler in Borussias Rückwärtsbewegung ziemlich kalt ausgenutzt, beim zweiten Tor natürlich auch mit Glück und der unfreiwilligen Hilfe von Oscar Wendt. Und auf der anderen Seite kamen die Pässe in die gefährlichen Zonen einfach zu oft nicht exakt genug, sodass Thuram und Co. heute viele Möglichkeiten gar nicht erst bekamen.

Solche Spiele haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen - in Wolfsburg, in Freiburg, in Augsburg oder in Düsseldorf. Und wir haben uns meist - zurecht - darüber richtig geärgert. Heute kann ich die Niederlage besser akzeptieren. Denn der Unterschied zu früher war sichtbar: Die Mannschaft wehrte sich bis zum Schluss gegen die aufziehende Niederlage. Ihr fiel zwar irgendwann nicht mehr ein, wie sie den Gegner spielerisch hätte knacken können. Aber sie versuchte es dennoch unermüdlich weiter. Der Wille, das Spiel zu drehen, war immer spürbar, und auch der Ausgleich wäre bis zum Schluss drin gewesen - das unglücklich zustandegekommene 0:2 lag ja jetzt nicht gerade in der Luft.

Doch wer weiß, wofür es gut ist - die Sportjournalisten haben sich ja schon in den vergangenen zwei Wochen schier überschlagen mit Lobhudeleien über Gladbach. Was wäre wohl gewesen, wenn auch das Spiel noch gedreht worden wäre?
So weiß jeder wieder, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Und vielleicht kommt die Erinnerung daran zur genau richtigen Zeit. 
Denn am Donnerstag kann der VfL mit einem Sieg in der Euro League einen großen Schritt zum Weiterkommen machen. Und die Gefahr, dass man den Gegner trotz der Heimpleite im Hinspiel unterschätzen könnte, ist durch die Gladbacher Erfolge der vergangenen Wochen sicher gestiegen, auch wenn man sich das nicht gern eingestehen würde. Zumal Wolfsberg ja gerade auch noch seinen Erfolgstrainer verloren hat. 
Nach dem bitteren 0:4 gegen die Österreicher (trotz Roses und Lainers eindringlicher Warnung) startete die Mannschaft vor fast genau zwei Monaten ihren sensationellen Aufschwung. Ab da griffen die Rädchen im Powerfußball-System von Woche zu Woche besser.
Vielleicht brauchte es daher gerade heute die durch Union gelieferte Erinnerung daran, dass Physis-Fußball manchmal brutal all das brechen kann, was man sich so schön als Plan für das Spiel vorgenommen hatte. Denn eins ist klar: Der Versuch, die Eisernen ihrerseits mit frühem und aggressivem Pressing zu Fehlern zu zwingen, ging nur ein paar Minuten auf. Es verkehrte sich sozusagen bisweilen ins Gegenteil, weil Torwart und Abwehrspieler von Union gerade dann konsequent den Weg nach vorne über lange Bälle suchten und dort eben meist einer stand, der mit diesen Bällen etwas anzufangen wusste. Auf der anderen Seite gelang es dem Gegner, die Borussen mit cleveren Laufwegen schon in der eigenen Hälfte häufig zum Quer- oder Rückpass zu zwingen und das Aufbauspiel empfindlich zu stören. Marco Rose hatte sicher einen Plan, wie man dagegen effektiv vorgehen wollte. Allein an der Umsetzung haperte es.

Das hatte, und damit bin ich leider wieder beim Unparteiischen, auch etwas mit dem Fifa-Schiedsrichter Dr. Felix Brych zu tun. Dass er in einer eigenen Welt lebt, was die Beurteilung von Fouls und fairen Zweikämpfen angeht, ist nichts Neues und war doch heute wieder in seiner ganzen Großartigkeit zu beobachten. Sein an sich löblicher Versuch, das Spiel stets möglichst wenig durch Foulpfiffe unterbrechen zu wollen, ist eine gute Idee, wenn sich zwei Teams gegenüber stehen, die spielerische Lösungen bevorzugen - also etwa, wenn sich zwei Favre-Teams treffen würden. Bei Mannschaften, die Zweikämpfe geradezu suchen, wird daraus unter Brych Leitung oft eine ordentliche Treterei, über die er dann aber gerne geflissentlich hinweg sieht. 
Ich akzeptiere, dass Mannschaften wie Union die physische Karte spielen (müssen), um das Spiel des Gegners zu zerstören. Es ist auch ok, dass sie dabei in jedem Zweikampf die Grenzen des Erlaubten zu verschieben versuchen, um selbst einen Vorteil daraus zu ziehen. Anders macht es ja ein Stefan Lainer auch nicht. 

Der Schiedsrichter ist dann dazu da, Stoppsignale zu setzen. Wenn er das unterlässt, beeinflusst er das Spiel. Und wenn er es einseitig unterlässt, bevorteilt er eine Mannschaft - etwa die vermeintlich spielerisch unterlegene, die auf übertriebene Härte setzt. Heute war das wieder besonders krass am Beispiel von Alassane Plea zu beobachten, der immer wieder ungestraft von hinten in die Beine getreten werden durfte, während Brych ihm arrogant "Weiterspielen" signalisierte - als ob Plea sich grundlos fallenlassen würde. Es wurde insgesamt sehr viel straflos geklammert, gerissen und geschubst oder bei Kopfballduellen gerade bei langen Bällen in den Gegner reingelaufen, was besonders bei Ingvartsen und Ujah in nahezu jeder Szene zu beobachten war. Auch das zermürbt natürlich, vor allem, wenn der Schiri das nicht für ahndenswert hält.

Dass ich mit Brychs Art, Spiele zu leiten, noch irgendwann Frieden schließe, glaube ich nicht. Aber es wäre falsch, ihm die Schuld für die heutige Niederlage zuzuschieben. Das will ich auch nicht. Denn auch die Gladbacher könnten ja cleverer darauf reagieren, wie Brych pfeift. Sie könnten sich in Zweikämpfen besser und robuster zum Gegner stellen. Und sie könnten selbst in den Zweikämpfen die großzügige Auslegung für sich zu nutzen versuchen. 
So weit scheinen die vor Rose meist sehr "braven" Gladbacher aber trotz der bisherigen Fortschritte in Sachen spielerische Aggressivität noch nicht zu sein. Am Donnerstag und Sonntag bietet sich immerhin Gelegenheit, daran zu arbeiten - gegen in dieser Hinsicht ziemlich gute Vorbilder. Und bis Brych das nächste Mal auf Gladbach trifft, vergeht hoffentlich möglichst viel Zeit.      
        
Bundesliga 2019/20, 12. Spieltag: FC Union Berlin - Borussia  Mönchengladbach 2:0

1 Kommentar:

  1. Der Sky-Kommentator redete also dauernd vom "Tabellenführer"... in der Sportschau-Zusammenfassung wurde der Reporter nicht müde, immer wieder zu erwähnen, dass "Sommer seit der Geburt seines Töchterchens Mila nie zwei Gegentore kassiert habe". Schon interessant, was da manchmal immer und immer wieder aufs Tapet gebracht wird. In der Zusammenfassung sah einiges richtig gut aus - die erwähnte Großchance von Plea beispielsweise, bei der ich auch dachte: "Da hätte er vielleicht tatsächlich besser noch einen Schlenker gemacht..." Aber gut, auf dem Sofa sieht wohl so ziemlich alles anders aus als auf dem Platz. Schade drum, aber ehrlich gesagt hatte ich das Ergebnis befürchtet. Die Spiele gegen Union, Freiburg und Bayern habe ich ganz besonders als Härtetest ins Auge gefasst. Der erste wurde also ergebnistechnisch leider nicht bestanden. Jedoch, auch in der Zusammenfassung konnte man erkennen, dass die Mannschaft bis zum Schluss alles versucht hat und sich gegen eine Niederlage stemmte. Charakterlich war das also ok, wenngleich einige Ungenauigkeiten leider den Unionern in die Karten spielten.

    Das 2:0 zum Schluss - am Ende nur schade um die Tordifferenz, aber irgendwie verliert es sich besser 2:0 als "nur" 1:0, wenn man immer hadern könnte um "nur ein Tor...". Viele Grüße, Fohlen

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