Ho ho ho! Hätte es heute Nachmittag nicht zwei unübersehbare Schwächen im Spiel des VfL gegeben, dann müsste man langsam Angst vor der Elf von Marco Rose bekommen. Was dessen Mannen heute kämpferisch, aber noch mehr spielerisch auf den Rasen des Borussia Parks gebracht haben, das kratzte schon an der Perfektion - wenn man bei den Standardsituationen und der Chancenverwertung alle Augen zudrückt.
Im Ernst: Freiburg steht sicher nicht unverdient im oberen Tabellendrittel und ist ein ernstzunehmender Gegner. Aber heute brachte die Mannschaft von Christian Streich nahezu nichts davon auf den Platz - weil Borussia es einfach nicht zulassen wollte.
Wenn ich es richtig beobachtet habe, datierte der erste gelungene Spielzug, den die Gäste in den Gladbacher Strafraum brachten, aus der 67. Minute.
Natürlich hatten die Breisgauer da schon zwei Tore geschossen und auch ein paar weitere Torgelegenheiten gehabt. Aber diese resultierten ausschließlich aus Ecken und Freistößen, also aus ruhenden Bällen. Mit denen hielten die Gäste das Spiel heute dann auch offener, als es in Wirklichkeit war. Und Borussias Offensive tat ihnen den Gefallen, Großchance um Großchance und damit die endgültige Entscheidung liegen zu lassen. Wer das Spiel gesehen hat, weiß aber, dass es genausogut 11:3 hätte enden können, auch wenn die Spielstatistik bis auf die Zweikampfbilanz (klar für Borussia) nahezu ausgeglichene Werte ausweist.
Ansetzen müssen Marco Rose und sein Trainerteam natürlich genau bei diesen zwei Schwächen, wobei man vergebene Chancen kaum wegtrainieren kann und die Chancenverwertung mit der zunehmenden Sicherheit, die die Borussen heute im Spiel nach vorne wieder an den Tag legten, auch nicht wirklich Grund zur Sorge für das nächste Spiel sein muss. Würde man keine Chancen herausspielen, wäre das sicher bedenklicher.
Unübersehbar sind dagegen die Schwierigkeiten, die die Mannschaft (immer wieder, nicht nur heute) bei der Verteidigung von Standards im eigenen Strafraum hat.
Das 1:1 durch den Freistoß von Schmid ist sicher ein spezieller Fall, weil hier schlicht die Bewegung der Spieler innerhalb der Mauer suboptimal war. Was mich eher wundert ist, warum man seitens der Regelhüter mit einer Änderung vor der Saison erst unterbindet, dass gegnerische Spieler in der Abwehrmauer stehen dürfen, ihnen dann aber erlaubt, dass sie sich ins Blickfeld der Mauer davor stellen dürfen. Der Grund, warum die Gladbacher Mauer beim 1:1 löchrig wurde, war aus meiner Sicht, dass Bensebaini und Neuhaus an den vor ihnen zur Seite laufenden Freiburgern vorbeigucken und orientieren mussten, wohin der Ball fliegt. Ich finde die Abschaffung der Gedrängel- in-der-Abwehrmauer-Regel gut. Aber dann sollte man solche Ersatz-"Spielchen", die sich nur vor die Mauer verlagern, künftig auch bitte unterbinden.
Definitiv trainierbar ist das Abwehrverhalten bei lang in den Strafraum geschlagenen Freistößen, Ecken und Flanken. Dass Robin Koch in einer Szene so leicht zu einem freien Kopfball kommen konnte, weil sein Gegenspieler Elvedi zuvor von einem anderen Freiburger geschickt geblockt wurde, darf eigentlich nicht passieren - vor allem, wenn das nicht das erste Mal geschieht. Ich meine, auch Wolfsberg und Bremen haben gegen uns ähnlich agiert.
Auch die Situation, die zum 2:3 führte, haben wir diese Saison schon diverse Male gesehen, wenn auch zum Glück nicht immer mit einem Gegentor als "Belohnung". Dass diese Getümmelflanken ganz schwer zu verteidigen sind, ist mir klar. Aber wenn der Gegner Spieler hat, die so flanken und auch so in den Ball gehen können, ist es umso wichtiger, hier bessere Lösungen zu finden. Das ist übrigens keine Kritik an den Jungs, die da heute ihren Mann gestanden haben. Solche Situationen kann man nur zusammen lösen, und daran muss man auch gemeinsam arbeiten. Dass diese Mannschaft das mit der nötigen Ernsthaftigkeit tut, steht für mich außer Frage.
Muss man heute jemanden herausheben? Sicher hat Breel Embolo ein tolles Spiel gemacht, das freut mich für ihn sehr, weil er ja auch sehr mit Misserfolgen zu hadern scheint. Den vergebenen (aber gut geschossenen) Elfmeter kann man ihm bei diesem Endstand auch leicht vergeben.
Aber für mich war das heute vor allem anderen eine ziemlich starke Mannschaftsleistung, zu der jeder seinen Teil nahezu gleichwertig beigetragen hat. Herausheben würde ich, wenn überhaupt, Tony Jantschke und Ramy Bensebaini, die kompromisslos, präzise und fair alles abräumten, was im Freiburger Trikot auf sie zukam. Das ist insofern nicht selbstverständlich, weil sie eben nicht wie Elvedi, Zakaria oder Lainer schon die ganze Saison voll im Spielrhythmus sind. Beide haben mir heute unheimlich imponiert, was aber die Energieleistung von anderen wie Patrick Herrmann, Marcus Thuram, Flo Neuhaus oder oder oder keineswegs schmälern soll.
Die Doppel-Eins für die Tabellenspitze in Liga und Europa-Gruppe steht also - verdient - noch eine weitere Woche auf unserer Habenseite. Fast gewöhnt man sich schon daran.
Ist es da Segen oder Fluch, dass diese Leistung und das Spiel von heute jetzt eine Woche lang zum Maßstab für das Duell gegen die Bayern am Wochenende erhoben wird? Früher hätte ich Böses geahnt, weil den Spielern die (meist auch übertriebenen) medialen Lobeshymnen selten gut taten. Wenn ich aber den Saisonverlauf Revue passieren lasse, steht da eine Mannschaft, die auch unter Druck bisher gute Reaktionen gezeigt hat und den wachsenden Erwartungen mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit entsprochen hat. Kleinere Rückschläge wie gegen Union sprechen nicht unbedingt dagegen, weil die Reaktion darauf etwa in dieser Woche mit zwei Siegen gegen ebenso unbequeme Gegner eindeutig für die Entwicklung der Mannschaft sprechen.
Dennoch tun wir gut daran, nicht zu viel zu erwarten, wenn es am Samstag gegen den Rekordmeister geht - aber auch nicht zu wenig zu erhoffen. Der FC Bayern scheinen sich gefangen zu haben, und sie sind immer in der Lage, auch eine Mannschaft wie Gladbach auseinanderzunehmen.
Allerdings sprechen auch einige Dinge für den VfL: Der Respekt, den sich die Mannschaft bei den Gegnern erarbeitet hat, nicht zuletzt dadurch, dass man den Borussia Park nach der seltsamen Sieglos-Serie wieder zurückerobert hat und inzwischen die Heimtabelle mit 16 Punkten aus sieben Spielen wieder anführt. Die Fähigkeit, auch verletzte Spieler immer wieder gleichwertig zu ersetzen, wie heute Ginter durch Jantschke. Die seriöse Abwehrarbeit vor einem Toptorwart - nach Gegentoren ist die Gladbacher Abwehr die zweitbeste der Liga. Und dann ist da noch die schnelle und pressingstarke Offensive, die die große Schwachstelle der Münchner - ihre Abwehr - vor große Probleme stellen könnte.
Wenn es anders kommt, ist es so. Aber anders als in vielen Jahren zuvor muss man es nicht schon vorher mit großer Wahrscheinlichkeit befürchten. Und das finde ich ganz famos.
Bundesliga
2019/20, 13. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - SC Freiburg 4:2 (Tore für Borussia: 1:0 Thuram, 2:1 Embolo, 3:1 Herrmann, 4:2 Embolo)
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