2020-12-02

Um den Erfolg gebracht

Ja, Inter Mailand hätte das Spiel auch so gewinnen können - und keiner von uns hätte sich beschweren dürfen. Das stimmt, und es würde manche Diskussion vereinfachen. Aber mir geht es heute wieder mal um etwas Wichtigeres, nämlich Gerechtigkeit im Fußball. Ich weiß, da bin ich falsch bei der feinen Uefa-Gesellschaft, die kein Herz für Emporkömmlinge hat, die sich nicht einkaufen wollen, sondern sportlich nach oben kommen wollen. Aber für mich sind Berechenbarkeit, eine gewisse Gerechtigkeit und Vergleichbarkeit von Entscheidungen die Grundlage des fairen Spielablaufs. Dass das nicht immer gleich  gut gelingt, lässt sich nicht ändern. Aber mein Verständnis dafür hat auch Grenzen.

Also von vorn. Der VfL tat sich in den ersten 30 Minuten sehr schwer mit der an sich recht einfachen Taktik der Italiener, die nahezu immer Romelu Lukaku, den Wandschrank im Sturmzentrum, anspielten. Der wiederum legte auf nachrückende Spieler ab und ist leider nur ab und zu so zu verteidigen, dass man rechtzeitig vor ihn kommt, ihn bei der Ballannahme stören und ihm den Ball klauen kann. Das ist schon ein beeindruckender Stürmer, keine Frage. Ohne ihn wäre von Inter derzeit nicht viel zu erwarten.

Allerdings schien es zu Beginn der ersten Halbzeit, als hätten die Borussen insgesamt ein bisschen zu viel Respekt vor dem tabellarisch mit dem Rücken zur Wand stehenden Gegner. Anstatt mutig nach vorn zu spielen, kontrollierte Gladbach das Spiel tief in der eigenen Hälfte, ohne Raumgewinn und ohne Idee, wie man mal schnell das Mittelfeld überbrücken könnte. Dass das nicht gelingen wollte, lag auch daran, dass Florian Neuhaus als Aufbauspieler den Ball neben den Innenverteidigern oft im eigenen Strafraum aufnahm und ihm viele Meter bis zu seiner gewohnten zentralen Mittelfeldposition fehlten, von der aus er am liebsten das Spiel aufzieht und Überraschungsmomente kreiert.

So kam es, dass Inter, das vor allem aufs schnelle Kontern aus war, sich einige Chancen erarbeitete und fast folgerichtig auch in Führung ging. Genauso wie den beiden später folgenden Gegentoren funktionierte da die Zuordnung nicht optimal, sodass die Stürmer vor Yann Sommer jeweils relativ einfaches Spiel hatten. Beim 0:1 sah Sommer mit Beinschuss in der kurzen Ecke etwas unglücklich aus, aber er musste auch mit einem Schuss in die lange Ecke rechnen, sodass die Situation hier vielleicht nicht so eindeutig ist, wie sie wirkte.

Erstaunlicherweise warf dieses Gegentor Borussia gar nicht so sehr zurück, nach einer halben Stunde hatten Stindl und Co. sich die Oberhand im Spiel zurückerobert, konterten die Intertaktik besser und spielten selbst zielstrebiger und mutiger nach vorn. Das 1:1 kurz vor dem Pausenpfiff war zwar nicht wirklich zwingend, fiel aber zum perfekten Zeitpunkt.

Schon zur Halbzeit musste Marco Rose erstmals wechseln. Tony Jantschke hatte sich an Lukaku aufgerieben und musste verletzt in der Kabine bleiben. Hoffentlich nichts Schlimmeres, sonst würde es in der Innenverteidigung langsam eng. Rose brachte aber keinen gelernten Verteidiger, sondern wieder einmal Denis Zakaria in der Dreierkette, vor allem als Abfangjäger für den bulligen Mailänder Mittelstürmer. Zak machte es über die Spielzeit hervorragend, nahm Lukaku mit viel Physis und guten Abwehraktionen ein wenig die Lust, sodass sich das Spiel fortan wieder mehr in Richtung Inter-Tor verschob. Doch genau in die beste Phase des VfL fiel das 1:2 und eine Viertelstunde vor Schluss das 1:3. Das war die Zeit, als der Unparteiische begann, das Spiel nach seinem Geschmack umzugestalten.

So bullig wie er ist, ist Romelu Lukaku kaum zu foulen, man bekommt ihn einfach nicht umgetreten. Das ist schon gut anzusehen. Und es schien den holländischen Schiedsrichter Danny Makkelie so zu beeindrucken, dass er gleiches wohl auch von den Gladbacher Stürmern verlangen wollte und deshalb gefühlt nur etwa jedes siebte Foul an Thuram oder Plea ahndete. Dafür bekam Lars Stindl nahezu jeden Körperkontakt abgepfiffen.
Das war über das Spiel hinweg insgesamt zu verschmerzen, doch in einer Szene eben nicht. Da brachten drei Mailänder Marcus Thuram an der Mittelinie in einer konzertierten Aktion rüpelhaft zu Fall, Makkelie schaute sich aber lieber den folgenden Konter an, der zum 2:1 für die Gäste abgeschlossen wurde. Wo war der VAR? Keine Ahnung, es blieb jedenfalls eine klare Fehlentscheidung bestehen. 

Dennoch: Borussia kämpfte sich auch nach dem folgenden 1:3-Rückstand über mehrere Auswechslungen und taktische Umstellungen bravourös zurück. Und schaffte frühzeitig genug durch eine blitzsaubere Balleroberung von Flo Neuhaus, einen schnellen Pass von Tikus auf Plea und dessen eiskalten Abschluss den Anschlusstreffer. Und als dieser in der 83. Minute auch noch seinen dritten Treffer zum vermeintlichen 3:3 folgen ließ, griffen VAR und Feldschiedsrichter dann ein.

Embolo hatte sich zwischen der Schussbahn und dem Torwart befunden, als der Ball ins lange Eck ging und er war dem Ball auch leicht ausgewichen. Dumm, dass man im Uefa-Keller mit dem Lineal eine Hackenbreite Abseits nachmaß, sonst wäre die Aktion überhaupt nicht weiter zu prüfen gewesen.
So aber griff wieder einmal der Fall, dass ein Schiedsrichter für sich entscheiden kann, ob er in der Aktion eine strafwürdige Bewegung gesehen hat, die den Torwart irritiert hatte - oder eben nicht. Die Regeln sind so schwammig formuliert, dass man alles mit allem begründen kann.
In dieser Szene sprach aus meiner Sicht alles dagegen, dass Torwart Handanovic von Embolo irritiert war. Denn erstens reagierte der Keeper überhaupt nicht auf Pleas Schuss, machte also auch keine Abwehrversuch, bei dem man ihn hätte irritieren können. Das lag aber mitnichten an Embolo, sondern an den drei Inter-Spielern, die Handanovic die Sicht auf den Schützen Plea nahmen. Auch kein anderer Gegner wurde von Embolo irritiert oder an einer Verteidigungsaktion gehindert, was zu ahnden gewesen wäre. Es hätte zudem auch inklusive Torwart gegen diesen platzierten Schuss ins offene Eck niemand etwas tun können (was für die Beurteilung durch den SR weltfremderweise auch überhaupt keine Rolle spielt). Es war ein absolut sauber erzieltes Tor. Auch der Torwart reklamierte nicht beim Schiedsrichter, dass er beeinträchtigt worden sei. Das übernahmen seine Mitspieler - genau die, die dem eigenen Torwart im Sichtfeld gestanden hatten. Danny Makkelie aber schaute sich die Szene nochmal an und kam zu einem anderen Ergebnis. Er kassierte das Tor.

Das Schlimme für mich daran ist nicht einmal, dass er so entscheidet. Das Schlimme ist, dass er - egal wie er entscheidet - dabei aus offizieller Sicht keinen Fehler machen kann. Das ist der berühmte "Ermessensspielraum", der dem Schiedsrichter in solch entscheidenden Szenen zur Verfügung steht und der ihm immer wieder eine zu große Macht über den Spielausgang gibt.
Und der ihn natürlich auch selbst unter Druck setzen kann. Denn nehmen wir mal dieses Spiel als Beispiel. Man muss dem Schiedsrichter gar nicht vorwerfen, absichtlich eine Mannschaft bevorteilen zu wollen. Aber Makkelie weiß ganz genau, dass diese Szene in der 83. Minute mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit einen Punktverlust von Inter zur Folge gehabt hätte, wenn er das Tor gegeben hätte. Damit wäre die hoch favorisierte Mannschaft an diesem Abend aus der CL ausgeschieden. Wenn ich also als Schiedsrichter vor dem Monitor stehe und entscheiden muss - und ich weiß zugleich, dass mir bei keiner der beiden Entscheidungen jemand so richtig am Zeug flicken kann - außer die Fans des Teams, das davon nicht profitiert. Dann kann es auch unbewusst verlockend sein, nicht an diesem Tag derjenige sein zu müssen, der das ruhmreiche Inter Mailand mit einer diskutablen Entscheidung in den Abgrund schickt.

Dass es so gewesen ist, will ich damit nicht sagen. Aber diese Möglichkeit schwingt schon mit, wenn man über Jahre beobachtet, wie in engen Situationen immer wieder das Pendel zugunsten der großen Vereine der Uefa-Wettbewerbe ausschlägt. Und wenn man weiß, um wieviel Geld es hier für die Vereine geht.    

Für mich jedenfalls bleibt die Rücknahme des 3:3 eine krass sportwidrige Entscheidung, die nichts mehr mit dem Sinn einer Abseitsregel oder mit einem unerlaubten erlangten Vorteil zu tun hat, den man zurückpfeifen müsste. Und weil immer wieder solche Entscheidungen gegen Gladbach fallen, rege ich mich darüber mehr auf, als mir gut tut. Und ich halte es aus diesem Grund auch heute für einen Skandal, wie dieser Schiedsrichter in zwei entscheidenden Situationen den Ausgang des Spiels beeinflusst hat.

Um der Ehrlichkeit die Ehre zu geben, will ich nicht unerwähnt lassen, dass der VfL natürlich auch das 3:3 nicht notwendigerweise bis zum Schluss verteidigt hätte. Dass Gladbach Glück hatte, dass ein Schuss nur Yann Sommers Pfosten traf, eine Mega-Chance einen Meter vor dem Tor nicht genutzt wurde und vor allem Passgeber Alexis nicht im Strafraum nach einem Foul zu Boden ging, sondern weiterspielte. Sonst hätte es einen Elfmeter geben müssen. 

Inter hatte also die Chance, das Spiel auch früher zu entscheiden, sodass über manch andere Szene nicht mehr hätte gestritten werden müssen. Aber das zählt umgekehrt auch nicht als Ausrede. Deshalb bleibt von diesem für Mönchengladbach immer noch außergewöhnlichen Spiel in der Königsklasse vor allem der Ärger über die Eingriffe des Unparteiischen, dessen letzte Amtshandlung dann meinen Puls noch einmal in die Höhe trieb. Makkelie pfiff pünktlich nach den noch relativ knapp bemessenen sechs Minuten Nachspielzeit ab, in dessen Verlauf es Inter gelang weitere eineinhalb Minuten Zeit zu schinden - und dann noch mitten in einem letzten aussichtsreichen Gladbacher Angriff.

Dennoch will ich dem Holländer nicht den letzten Satz lassen. Denn was sonst etwas untergeht, ist, wie gut die Mannschaft um Florian Neuhaus auch heute wieder einer der stärksten Mannschaften im internationalen Geschäft bespielt und ihr Paroli geboten hat. Wie im Hinspiel gab es während des Spiels schnelle Lerneffekte. Zweimal hatte man den italienischen Big Player am Rand einer Niederlage - und das auch ohne Hofmann und Bensebaini, die im Hinspiel noch groß aufgetrumpft hatten. 

Es ist bitter, aber auch aus dieser Niederlage lässt sich viel Gutes ziehen. Außer der nagenden Frage, ob es irgendwann dann auch noch mal gelingen wird, nicht immer nur die tragische Figur zu sein, wenn es drauf ankommt.

Champions League 2020/21, Gruppenphase, 5. Spieltag: Borussia  Mönchengladbach - Inter Mailand 2:3. Tore für Borussia:  1:0 Plea, 2:3 Plea.

 Saisonspende: Zwei Tore, das gibt 1 Euro. Da das 3:3 in einem fairen Wettbewerb gezählt hätte, gebe ich auch diese 50 Cent noch dazu an diesem Champions-League-Spieltag. Der aktuelle Stand damit: 49,50 Euro.

Zur Erinnerung, darum geht's: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in den drei Wettbewerben: 50 Cent. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl oder Marco Rose: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro.
Tore oder Vorlagen von Gladbacher Spielern in der deutschen Nationalelf: 1 Euro.
Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Meisterschaft oder Finalsieg in CL oder EL: 50 Euro. DFB-Pokalsieg: 30 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

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