2021-01-23

Willensleistung wird belohnt

*Edit: Auf den berechtigten Hinweis eines Lesers habe ich die Überschrift des Textes nochmal geändert. "Triumph des Willens" ist auch der Titel eines Nazi-Propagandafilms von Leni Riefenstahl. Dieser Zusammenhang war mir beim Schreiben des Textes nicht bewusst und sollte natürlich auch nicht erweckt werden. 

Hut ab, Borussia(s) - das war sensationell! Gladbach belohnt sich in einem temporeichen und grandiosen Spiel gegen eine nicht viel schlechtere Namenscousine aus Dortmund für eine unglaubliche Willensleistung.
Der VfL feiert den ersten Sieg gegen den BVB nach zwölf verlorenen Spielen in Serie, überholt den Gegner in der Tabelle, erobert erstmals in dieser Saison (zumindest vorerst) einen Champions-League-Platz. Die Rose-Elf hat damit 20/21 bereits die Topmannschaften aus München, Leipzig und Dortmund besiegt und nur (knapp) gegen ein Team aus den ersten Zehn der Tabelle verloren (Leverkusen).
Und das alles trotz der nervenden Störgeräusche von außen in den vergangenen Tagen und Wochen. Wer als Gladbach-Fan heute nicht gut schlafen kann, dem ist nicht zu helfen.

Der Schlüssel zum Erfolg lag heute eindeutig in der Mentalität und der Bereitschaft, über die körperlichen Grenzen zu gehen. Der VfL legte los wie die Feuerwehr und überrumpelte die Gäste völlig mit seinem aggressiven Pressing über das ganze Feld. Dortmund wirkte 15 Minuten lang hilflos, kam überhaupt nicht zu einem geordneten Spielaufbau und sah sich einer furios aufspielenden wahren Borussia gegenüber, deren Manko einmal mehr nur war, die Ballgewinne nicht cleverer zu verwerten und in der Frühphase der Partie mit zwei Toren in Führung zu gehen. 

Zwar gelang Flo Neuhaus früh ein schöner Treffer, doch der zählte nicht. Zurecht, wie ich finde. Auch wenn sich die Gladbacher Spieler und Verantwortlichen im Stadion sehr erregten - verständlicherweise nach den jüngsten unglücklichen Entscheidungen des VAR - war doch der Einsatz von Jonas Hofmann im Zweikampf zuvor ein klares Foul, ohne das er nicht an den Ball gekommen wäre. Das sah für mich in Realgeschwindigkeit schon so aus, aber Schiedsrichter Manuel Gräfe ließ da noch weiterlaufen, offensichtlich hatte er es anders wahrgenommen. Als er es sich am Schirm nochmals ansah, war auch für ihn die Sache klar.

Ganz ehrlich: Für solche Szenen bin ich froh, dass es den VAR gibt. Denn der Schiedsrichter kann nicht immer optimale Sicht haben, und der Schubser von Hofmann war ursächlich für den Ballgewinn und damit auch für das erzielte Tor. Allerdings gilt auch, dass häufiger ähnliche Szenen auch im Mittelfeld oder selbst am gegnerischen Strafraum gecheckt gehören, wenn daraus ein schneller Konter und ein Tor folgen. Denn es hat ja bekanntlich auch schon so manches unbeanstandete Gegentor unserer Borussia mit einem Foul des Gegners begonnen. 

Ansonsten fand ich Gräfe und sein Team heute nicht schlecht, aber ein wenig phlegmatisch. Vergleichsweise viele klar falsche Einwurf- und Eckballentscheidungen (etwa bei der Riesenchance von Plea, wo Bellingham den Ball entscheidend abfälscht und es Abstoß gibt), nicht nachvollziehbare Nachspielzeiten, teils sehr lasche Ansprachen nach heftigeren Fouls und eine überflüssige Gelbe Karte wegen Spielverzögerung gegen das heute wieder unaufhaltsame Arbeitstier Chris Kramer. Wenn man als Schiri die lange Leine wählt, dann muss man da nicht unbedingt auf konsequent machen. Er hätte die 15 Sekunden, die da vertrödelt wurden, einfach nachspielen lassen können.

Nicht verstehen konnte ich die elend langen VAR-Checks. Das Foul vor dem vermeintlichen 1:0 war relativ klar, und die minutenlange Überprüfung von Nico Elvedis 1:0 war für mich völlig unverständlich, da der beim Abspiel ziemlich weit hinter den anderen Spielern startete. Ich habe es leider nur einmal aufgelöst gesehen, aber für mich sah es so aus, als sei die Abseitslinie beim falschen Spieler gezogen worden. Das könnte erklären, warum die Prüfung so lange gedauert hat. Akzeptabel wäre es gleichwohl nicht.

Gut fand ich aber, dass Gräfe in der hitzigen Anfangsphase mit langen VAR-Unterbrechungen nicht gleich mit Verwarnungen um sich geworfen hat, als auf dem Feld und auch von Marco Rose heftigst reklamiert wurde. Da zeigt sich manchmal eben auch die wohltuende Souveränität eines guten Schiedsrichters. Das haben wir auch schon ganz anders erlebt.

Aber zurück zum Spiel. Auch ohne das zurückgepfiffene erste Tor lief es gut für Borussia, auch wenn das 1:0 (und insgesamt drei der vier Tore) einem ruhenden Ball entsprangen. Zweimal der reaktionsschnelle Nico Elvedi, und am Schluss "Tikus" mit Wucht und Köpfchen in seinem ersten Einsatz nach der langen Sperre, das war schon eine beeindruckende Standardtore-Bilanz für ein einziges Spiel - allerdings auch mit freundlicher Mithilfe des Gegners.

Bis es aber mit dem beruhigenden Vorsprung in die Schlussphase ging, waren schwere Minuten zu überstehen, in denen das Spiel auch den aus den vergangenen Jahren oft gewohnten negativen Gang hätte nehmen können. Nach der ersten Viertelstunde Powerfußball im 3-4-1-2 musste die Mannschaft von Marco Rose verständlicherweise kurz durchpusten - und hatte schon den Zugriff auf die BVB-Offensive verloren. 

Sancho, Brandt, Reus, Bellingham und Haaland drehten das Spiel binnen kurzer Zeit mit einem bemerkenswert unaufhaltsamen Angriffswirbel. In dieser Phase kam Gladbach überhaupt nicht mehr in die Zweikämpfe, lief verzweifelt den Kombinationen der Dortmunder hinterher, konnte die starken Abschlüsse des Doppeltorschützen Haaland zum 1:1 und 1:2 nicht verhindern, und eine Handvoll weitere Chancen gerade noch so - unter Einsatz aller Körperteile wie bei Stindls Kopfballhechteinlage auf der Linie.

Erst nach einer guten halben Stunde erholten sich Kramer und Co. von der schwarz-gelben Gegenoffensive und befreiten sich Stück für Stück wieder aus der tiefstehenden und zunehmend passiven Verteidigungsformation. Dazu trug bei, dass Rose taktisch wieder auf die eingespielte Viererkette setzte, Denis Zakaria aus der Dreierkette heraus ins rechte Mittelfeld zog und insgesamt die zuzulaufenden Abstände in der Defensive verringerte. Der erneute Ausgleich war dann am Ende der ersten Hälfte schon wieder nicht unverdient, in einer allerdings irre intensiven und von beiden Seiten rasant und mit viel Herz - und ohne Rücksicht auf die Nerven von Trainern und Fans - vorgetragenen ersten Hälfte.

Zur Halbzeit war ich mir nicht sicher, ob der VfL der spielerischen Qualität des Gegners auf Dauer gewachsen sein würde. Doch auch nach der Pause gelang es wieder, den BVB über enormen läuferischen Einsatz und mit aggressivem Pressing zu beeindrucken und zu beschäftigen. Das Tor zum 3:2 in der 50. Minute war sehenswert, auch in der Entstehung über Hofmann und Neuhaus - aber es hatte sich nicht zwingend angekündigt.
Es war aber der unerwartet frühe Knackpunkt in diesem Spiel. Denn Dortmund erholte sich von diesem Rückstand nicht mehr so recht, bemühte sich zwar, wurde jedoch von Minute zu Minute weniger zwingend. Und als Gästetrainer Edin Terzic 20 Minuten vor Schluss Marco Reus auswechselte (weiß er denn nicht, dass der, egal in welcher Form, seinem alten Club immer wehgetan hat?), da nahm auch für eher vorsichtige Gladbachfans der nahende Sieg Gestalt an.

Nur zweimal musste sich Yann Sommer noch bei guten Schüssen von Guerreiro und Moukoko beweisen - mehr hatten Hummels und Co heute nicht mehr im Köcher. Das wiederum lag auch daran, dass Marco Roses frische Kräfte von der Bank heute ihre Aufgabe ebenso bravourös lösten wie die, die sich müde gelaufen hatten. Relativ früh gingen Stindl, Plea und Hofmann vom Feld, das war nicht ohne Risiko. Doch alle drei hatten sich für die Mannschaft aufgeopfert, die Füße wund gelaufen - gerade auch "Lasso", der ganz vorne viele wichtige Läufe machte, die heute nur zu nichts Zählbarem für ihn führten.

Doch Hannes Wolf, Breel Embolo und Marcus Thuram vertraten die drei Ausgewechselten hervorragend, und sie schafften es auch immer wieder, Bälle zu sichern und Kontersituationen zu inszenieren, um Entlastung zu schaffen. Auch der von vielen kritisch gesehene Hannes Wolf machte heute für meine Begriffe einen großen Schritt nach vorn, konzentrierte sich auf das, was von ihm verlangt wurde und blieb bissig. Nur mit der Schreierei inklusive dreifachem Überschlag bei handelsüblichen Fouls übertrieb er es einmal mehr etwas.

Aber was soll man überhaupt jemanden herausheben bei dieser reifen Leistung. Das war eine bärenstarke Gemeinschaftsleistung. Da stand ein Team auf dem Platz, das füreinander gelaufen ist und füreinander gekämpft hat, ohne Kompromisse. Vielleicht spielen da auch die Schlagzeilen aus dieser Woche eine Rolle, die Verein und Team vielleicht nochmal etwas enger zusammengeschweißt haben. Darauf können die Spieler, die im neuen Jahr vier Siege und ein Remis eingefahren haben, aber natürlich auch wir Fans heute richtig stolz sein.
Denn endlich hat sich auch mal wieder im blanken Ergebnis gezeigt: "
Die einzig wahre Borussia
kommt nur vom Niederrhein!"
   

Bundesliga 2020/21, 18. Spieltag: Borussia  Mönchengladbach - Borussia Dortmund 4:2. Tore für Borussia: 1:0 Elvedi, 2:2 Elvedi, 3:2 Bensebaini, 4:2 Thuram.

Saisonspende: Vier Tore und der dritte Sieg gegen einen "Großen" in dieser Saison ergeben 2 plus 10, also 12 Euro Tagessumme. Verdiente 94 Euro stehen damit nach dem Rückrundenauftakt zu Buche. Top!

Zur Erinnerung, darum geht's: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in den drei Wettbewerben: 50 Cent. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl oder Marco Rose: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Tore oder Vorlagen von Gladbacher Spielern in der deutschen Nationalelf: 1 Euro. Erreichen der K.o-Phase und für jede weitere erreichte CL-Runde: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Meisterschaft oder Finalsieg in CL oder EL: 50 Euro. DFB-Pokalsieg: 30 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

2 Kommentare:

  1. Klasse beschrieben.
    Finde gut, dass Du die Hofmann Szene auch als grenzüberschreitend bewertet. Wie schmal der Grat manchmal ist, können wir am Bayern Spiel festmachen, dass die kleine Kollision zwischen Kimmich und Hofmann vor unserem 2:2 mit bajuwarischen Augen Foul gewesen sei.

    Außerdem sehr wertvoll, die Hannes Wolf Leistung positiv zu würdigen. �� HN aus FL

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  2. trifft genau meine meinung weiter so!als ergänzung:stellt euch vor 54000 fans wären im fohlenstall gewesen!

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