Ich wollte eigentlich nichts zu den Bannern in der Nordkurve schreiben - zu viel Aufmerksamkeit für den weit über das Ziel hinausgeschossenen Umgang mit dem zweifellos kritikwürdigen Kunstprodukt aus Leipzig. Aber mit einem Tag Abstand und den verschiedenen Reaktionen, die ich seitdem mitbekommen habe, mache ich es doch. Denn es geht bei genauerem Hinsehen um deutlich mehr als einige geschmacklose Plakate. Es geht - mal wieder - um den Zusammenhalt bei Borussia im allgemeinen und die Qualität des Protests im besonderen.
Mit sportlichem Erfolg wachsen die Ansprüche - das ist nicht nur bei Gladbach so - und offensichtlich sinkt parallel dazu zugleich die Toleranzschwelle und die Bereitschaft, Dinge hinzunehmen, wenn es mal nicht so läuft oder wenn die Entwicklung nicht so ausfällt, wie man sie gern hätte. Ich habe schon betont, dass ich damit fremdele, einen Trainer vor die Tür zu setzen, wenn die Mannschaft auf Platz fünf der Tabelle steht und noch alle Chancen auf das internationale Geschäft hat. Aber immerhin ging diese Geschichte, soweit bekannt, noch mit dem nötigen Respekt vor der Leistung von Dieter Hecking über die Bühne.
Dieses Gebot gilt für manche Fans offensichtlich weit weniger. Dass der Respekt immer mehr auf der Strecke bleibt, ist gesamtgesellschaftlich schon länger zu beobachten. Es macht logischerweise über kurz oder lang auch vor einer Fanszene und einem Verein nicht halt, der eben auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft ist.
Die Frage aber ist: Löst man Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten grundsätzlich sportlich fair oder eskaliert man sie auf ungeeignete, verletzende Weise? Ist man selbst bereit, das einzuhalten, was man von anderen fordert? Wenn nicht, setzt man den Zusammenhalt unweigerlich aufs Spiel. Und an diesem Scheideweg sehe ich die Borussia-Familie derzeit - und das nicht zum ersten Mal.
Mir ist es relativ egal, ob den RB-Fans einer abgeht, wenn sie es auf dem Fußballplatz wieder mal einem "Traditionsverein" gezeigt haben, der sie so nachhaltig ablehnt wie wir als Borussia-Fans. Geschenkt, dass sich die Brause-Kunden als Opfer stilisieren und als einziges Argument den Neid der anderen vorschieben können - was durchaus zutrifft, da wir alle gern die finanziellen Möglichkeiten von RB hätten und das, was sie drumherum daraus gemacht haben.
Aber Red Bull und sein Konstrukt von miteinander verwobenen Vereinen und Farmteams ist nur ein Symptom der Fehlentwicklungen im Profisport. Es ist auch längst nicht die einzige Schieflage im Fußball. Heute habe ich gerade gelesen, dass sich Man City einen angeblichen neuen Messi aus Argentinien leisten möchte. Für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass sie wegen Fehlverhaltens eine Transfersperre bekommen, soll dann der verpartnerte spanische Verein aus Girona den Spieler verpflichten und später weiterreichen.
Dass das Wettbewerbsverzerrung ist und die zuständigen Fußballverbände trotzdem nicht willens oder in der Lage sind, das Aushebeln von Regeln zu unterbinden (wie bei Leipzig die Posse um den Vereinsnamen, die Vereinsstruktur sowie die nur oberflächlich gekappten Verflechtungen zwischen den RB-Clubs), das ist doch offensichtlich.
Dagegen kann man protestieren und auf den Rängen Spruchbänder zeigen. Doch man muss sich nicht einbilden, dass man damit etwas verändert. Schon gar nicht, solange die Vertreter der anderen "Traditions"-Vereine, darunter auch die des VfL, das alles in den Ligagremien am Ende mittragen. Es wäre also weit sympathischer, herauszustellen, was unseren Verein positiv ausmacht, was ihn damit abhebt von durchgestylten Reißbrett-Profisportprojekten à la Mateschitz und Hopp.
Vielleicht braucht es Zeit, neue Ideen für Proteste zu entwickeln und sich auch in der Kurve von den martialischen Gesten zu verabschieden. Kann ja sein. Aber auch wenn wir wissen, dass es beim Spiel gegen Leipzig darum geht, die Wut und die Ablehnung gegenüber dem Vereinsimitat namens "Rasenball" zu transportieren und hochzuhalten, ist das kein Freibrief für Attacken unter der Gürtellinie. Oder sollte es nicht sein.
Deshalb kann man es sich aus meiner Sicht komplett sparen, mit solchen Bannern in der Kurve persönlich beleidigend zu werden. Man kann an Ralf Rangnick vieles bescheuert finden - allen voran seinen arroganten Umgang mit der berechtigten Kritik an den von ihm wesentlich mitgestalteten Retorten-Projekten Hoffenheim und Salzburg/Leipzig, die er ohne nahezu unbegrenzten Zugang zu Geld nie hätte erfolgreich gestalten können. Das kann man ihm so auch an den Kopf werfen.
Aber warum der dämliche Hinweis auf den damaligen "Burnout" Rangnicks? Wo doch inzwischen selbst der tumbeste Fußballfan die Gefährlichkeit der Krankheit kennen müsste, die volkstümlich als "Burnout" oder Depression beschrieben wird und eine der heimtückischten Krankheiten ist, die für das Umfeld des Betroffenen oft nicht mal erkennbar ist.
Robert Enke, Andreas Biermann - zwei Profifußballer, die sich selbst töteten. Schiedsrichter Babak Rafati - kam knapp mit dem Leben davon. Sebastian Deisler - für ihn war die Krankheit der Karrierekiller. Wer weiß, wie er heute damit lebt. Es gibt genug weitere prominente Beispiele und unzählige Menschen, die abseits des Rampenlichts ihren Kampf mit sich selbst kämpfen und oft genug verlieren.
Ralf Rangnick hat sich, soweit man das von außen beurteilen kann, erfolgreich aus diesem Tief herausgekämpft - das ist nichts, für das man ihn beschimpfen sollte - im Gegenteil. Sich an so etwas hochzuziehen, ist unter aller Kanone.
Das gleiche gilt für Sprüche, die "... verrecke" oder "Tod den..." enthalten. Das ist einfältig und wirft, auch wenn es nur von einzelnen kommt, ein ebenso schlechtes Licht auf die gesamte Fanszene. Das ist Teil des Problems auch in Gladbach - nicht erst seit gestern (ich schrieb schon letztes Jahr darüber).
Ich glaube, so wie es der Mannschaft in der aktuellen Phase gut täte, sich nicht ständig nach außen zu erklären, sondern voll auf sich allein zu konzentrieren, stünde es auch den VfL-Fans insgesamt gut an, sich weniger mit anderen zu beschäftigen und dafür mehr mit sich selbst und dem Verhalten nach innen und außen. Wenn wir ein außergewöhnlicher Verein sein wollen, muss das vor allem durch die sichtbare Fanszene im Stadion vorgelebt werden. Davon sind wir aber - von außen betrachtet, ich bin ja kein unmittelbarer Teil der Kurve - meilenweit entfernt.
Wer gemeinsam einen Haufen größtenteils derbe bis beleidigende Banner malt und das als kreative Form des Protests einer demokratischen Fangemeinschaft ansieht und dazu zum xten Mal zur Trillerpfeife greift, kann sich doch nicht wirklich darüber wundern, dass andere das wenig originell finden. Und dass Kritik von dieser Seite bei den Aktiven in der Kurve wiederum zu beleidigtem Trotz führt.
Aber mal ehrlich: Was aus den vergangenen Jahren hängenbleibt und mit dem VfL verbunden wird, sind leider nicht mehr die eindrucksvollen, tollen Choreos der Europapokal-Auftritte. Es sind mehr Fehlleistungen, wie die von gestern, diverse (teure) Pyro-Eskalationen und inakzeptable Vorfälle wie tätliche Angriffe untereinander, Übergriffe auf Fans anderer Teams, auf Unbeteiligte in der Bahn - oder die Vergewaltigung im Fanzug. Das Problem ist, dass immer nur ein ganz kleiner Teil der Fanbase durch so etwas alle Borussia-Anhänger mit in den Dreck zieht.
Wir hätten als "einig Volk von Brüdern" eigentlich gerade eine andere Baustelle, die wir beackern müssten, statt uns selbst zu zerfleischen. Es gilt schließlich, gemeinsam mit dem Team (und ja, auch mit dem Trainer) noch das zu retten, worauf wir uns seit der tollen Hinrunde die ganze Zeit freuen: in der nächsten Saison endlich wieder auf Europa-Tour gehen zu können. Also: Lasst es gemeinsam krachen, Borussen!
Ähnlich habe ich ich am Wochenende auch schon geäußert. Persönliche Beleidigungen, am besten noch "verziert" mit Worten wie F*** dich oder H***söhne haben nichts im Stadion verloren, aber das ist wohl wirklich ein Spiegelbild für die Gesellschaft. Ein trauriges Spiegelbild. Man muss nicht mit einer Person, wie z. B. Rangnick, einer Meinung sein oder diese mögen, aber eine gewisse Grundhöflichkeit im Umgang miteinander sollte es doch geben. Das heißt dann ja nicht im Gegenzug, dass man mit solchen Konstrukten wie dem Brauseclub einverstanden sein muss. Aber hier sollten sich Proteste meiner Meinung nach nicht an den Personen auslassen, sondern im Grunde ist doch ein Gremium wie der DFB Schuld, wenn er die Winkelzüge eines solchen Werbe-Konstrukts (was dieser "Club" ja schlussendlich ist) zulässt bzw. diese ja fast schon zu billigen scheint! Da werden Regeln gebrochen oder zumindest umgangen - und nichts passiert. Allerdings kann da der gemeine Fan (aka "Melkkuh", brav zahlen und Klappe halten) auch nichts ausrichten - im Fußball geht es primär um Geld (wie so oft).
AntwortenLöschenProteste sollten daher, wie oben ausgeführt, nicht einfach tumbe Beschimpfungen, sondern zielgenau ausgerichtet sein. Aber Rumpöbeln geht halt einfacher...
Man kann nur hoffen, dass sich alle Borussen-Fans besinnen und ihr Fokus sich darauf richtet, was für sie wichtig ist: Ihr Verein!
In diesem Sinne, danke für diesen wie immer sachlichen und durchdachten Kommentar.
Gruß, Fohlen
PS Es sollte heißen: "Ein Spiegelbild der Gesellschaft" - den Satz hatte ich wohl im Kopf vorher anders formuliert...
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